Walter K. Panknin – Wie ich die USA sehe – Teil II

Guest Post by Gertrud’s Nephew Norbert Werner

Reifferscheid Family Tree – Chart III – III & IV
A very critical view of the US condensed from letters written in the late 1980’s
Photos  from Walter Panknin’s New York Album 1988
 Blog Contribution in German by Norbert Werner

Vorwort: Der erste Teil dieses Beitrages beschäftigte sich mit den Menschen und der Lebensweise in den USA. In diesem Betrag fasse ich die Eindrücke über das „Konsumverhalten“ der Amerikaner zusammen. Kommt uns das heute nicht sehr bekannt vor?

Walter NY4054

Great Neck, 4.April 1988

Laut Arbeitsvertrag habe ich Anrecht auf einen Firmenwagen. Doch, wie ihr sicher verstehen werdet, hatte ich bisher kaum Zeit, mich um dessen Anschaffung zu kümmern. Zu oft war ich unterwegs, und auch mit der neuen Wohnung gab es ja genug – und gibt es immer noch- zu tun.

Nun, nach einigem Hin und Her habe ich schließlich ab 30. März zunächst mal einen Wagen gemietet und siehe da, mit einem mobilen Untersatz eröffnen sich völlig neue Welten…

Endlich habe ich auch die Supermarkets entdeckt, die ich aus Kanada kannte und bisher vermisst hatte. Natürlich sind sie noch ein wenig größer als in Toronto oder Nakusp, doch das macht das Einkaufen nicht immer einfacher.

Nun muss ich ein 95m langes Brotregal abklappern um letztendlich festzustellen, dass zwischen den 138 verschiedenen Brotsorten nur wenige Unterschiede sind. Alle sind gleich labbrig und schwammig. Danach gehe ich das 95m lange Regal zurück, um zwischen 328 Sorten Haarwaschmittel auszusuchen, dann wieder 95m in die andere Richtung, um zwischen 38 verschiedenen Sorten Tomatensaft zu wählen. Es sind nur 38 Sorten, aber sie nehmen jeweils soviel Platz ein. Auf dem Rückweg durch Reihe 4 find ich die tollen Angebote über Toilettenpapier-jede Farbnuance, die gewünscht ist-, Reihe 5 bringt dann Dosensuppen, Reihe 6 bringt Gemüse in Dosen, Reihe 7 –immer noch 95m lang- gestattet die Wahl zwischen 42 Sorten Cornflakes, Reihe 8- schon etwas müde auf den Füßen entlanggelaufen- hat nur Katzennahrung … Na ja, so klappert man also seinen Supermarket ab. Man kauft nicht einfach „Klopapier“, nein, man kauft einen „value“, einen „Wert“. Und was für einen „value“! das Klopapier ist um 9 cent die Rolle herabgesenkt- welch ein Geschäft! Es ist ein „bargain“-, ein Geschäft was ich mache, wenn ich nun sofort 10 Rollen, nein 100 Rollen, am besten 1000 Rollen kaufe. Dann habe ich ja 1000×9 cent gespart. Es ist unglaublich und ihr werdet es mir auch kaum abnehmen

Aber diese Neuigkeit, das diese besondere Sorte Klopapier ab gestern 9 cent billiger ist als bisher, wird vielleicht sogar im Fernsehen angekündigt als sei ein Goldschatz plötzlich umsonst zu vergeben.

Der Witz der Werbung liegt übrigens darin:

     * Das Klopapier ist 9 cent billiger

     * Für das Auto zahlt man 500 $ weniger

     * Für das Radio zahlt man 100 $ weniger.

Nie wird gesagt, wieviel die Sachen vorher gekostet haben und jetzt kosten. Dazu muss man anrufen oder eben ins Geschäft kommen.

Heute war ich in einem Möbelgeschäft, das letzte Woche eine ganzseitige Anzeige in einer der größten Zeitungen hier hatte- der „New York Times“. Angepriesen wurde ein sehr hübsches Regal. Doch wenn ihr nun denkt, dieses Regal sei zu kaufen gewesen, dann habt ihr euch geschnitten. Es war nicht zu besichtigen, nicht auf Lager, – erst ab Mai erhältlich.
Warum also die horrend teure Werbung? Ganz einfach, um Kunden ins Geschäft zu locken und ihnen etwas anderes anzudrehen.

Möbelkauf ist übrigens in N.Y.- wahrscheinlich in den ganzen USA- ein sehr schwieriges Geschäft für Europäer. Es gibt 3 Sorten Möbel.

Die erste Sorte ist die Billigsorte: Tisch, Stühle, Regale, alles für 49,99 $. Die Qualität ist entsprechend. Nachdem man 2x auf dem Stuhl saß, bricht er zusammen, das Regal ist stabil genug, gerade sich selbst zu tragen- wehe, wenn man 2 Bücher reinstellt.

Möbel Sorte 2: Das ist Rokoko und Barock auf amerikanisch. Imitierte Eiche, viele Schnörkel viel blinkendes Messing, Preis relativ hoch. Dafür klemmen die Schubladen, hängen die Türen schief in den Scharnieren. Für den US-Geschmack nett anzusehen, aber nur aus 20m Entfernung. Es ist ein Teil des Showgeschäfts: Große Fassade- nichts dahinter.

Möbel Sorte 3, das sind die Importe aus Europa, doch leider die miesen Qualitäten. Denn man will ja gleichzeitig die Käuferschicht der Klasse 1 ansprechen, also 49,99 $, diesmal kosten die Regale 499,95 $, doch ist die Qualität in keiner Weise angemessen. Es ist wirklich ein Jammer, ich war heute in 5 Geschäften und danach so tief enttäuscht.

Walter NY4055

N.Y., 2. Mai 1988

Wie ich schrieb, habe ich das Auto von der Gesellschaft AVIS gemietet. Als ich letztes Wochenende mit Rob durch die Gegend fuhr, sagte ich: „Ach, die Size in diesem Auto sind wirklich unbequem Eigentlich müsste ich es umtauschen.“ Da wir gerade zufällig in der Nähe einer AVIS-Station waren, hielt ich dort an und sagte, dass mir die Sitze zu unbequem sind.

„O.K. Sir, welchen Wagen möchten Sie?“ Ich ging zum Parkplatz, probierte ein paar Autos aus und entschied mich dann für einen Toyota. Innerhalb von ca. 6 Minuten hatte ich einen neuen Vertrag, die Sachen umgeladen und ab ging es in dem neuen Gefährt. Dieser Wagen ist viel bequemer. Er hat elektrisch verstellbare Fenster, Klimaanlage, Radio und Kassettenrecorder usw.

Doch warum erwähne ich das? Was mich immer wieder verblüfft, ist die Schnelligkeit, mit der man so manche Dinge erledigen kann, während andere Sachen oft sehr langsam und umständlich gehandhabt werden.

Rob und ich sind dann zu einem Einkaufszentrum gefahren, wo ich mir noch einen kleinen Fernseher für meinen Computer gekauft habe. Natürlich habe ich wieder etwas gehandelt- und siehe da, ich bekam das Gerät für 298 $ statt für 329 $. Es ist ein Farbfernseher von Sony, mit Fernbedienung, im Prinzip sehr preiswert. Dabei gibt es andere Marken sogar schon für ca. 200 $, doch ist die Qualität nicht so gut.

Walter NY4056

Great Neck, 19. Mai 1988

Wenn man allein, vielleicht sogar nachts, in einer großen leeren Halle ist, so wird man durch das kleinste Geräusch aufgeschreckt und aufmerksam. Wenn man aber in einem tobenden Fußballstadion ist und seinem Nachbarn etwas sagen will, so muss man brüllen, um sich verständlich zu machen.

N.Y. ist wie ein tobendes Fußballstadion. Dementsprechend noch lautstarker, marktschreierischer, greller und überzogener ist die Werbung, um auf ihre Produkte aufmerksam zu machen. Man kann sich der Werbung nicht entziehen. Im Radio, Fernsehen, in Zeitschriften, auf Plakaten hämmert sie auf die Menschen ein. Sie ist nicht elegant, witzig, unterschwellig informativ oder anregend, sondern ganz einfach brutal. Die 4 wichtigsten Worte werden aneinandergereiht und jedem eingehämmert: MORE VALUE for YOUR DOLLARS. Dieser Slogan muss von einem Computer ausgedacht sein:

„Mehr“: jeder will mehr haben, alle streben nach mehr, nach viel mehr, nach Geld, Reichtum, Einfluss, Macht.

„Wert“: Es wird kein Produkt angesprochen, sondern der besondere Wert. Der besondere Wert einer Cornflakes Sorte, der besondere Wert eines Reinigungsmittels, der besondere Wert der neuen Coca Cola.

„Deine Dollars“: Die will man haben, die sollen ausgegeben werden, dafür bekommt man „Wert“. Die Dollars sollen locker gemacht werden im wahrsten Sinn des Wortes.

Nirgendwo kann man so viele Leute beobachten, die offen auf der Straße ihre Dollars zählen wie in N.Y. Dicke Geldscheinbündel werden an den Straßenecken durchgezählt. Oft ist es gar nicht soviel Geld, denn es gibt ja den 1 $-Schein-, aber man berauscht sich am Anblick des dicken Geldbündels.

Die Sprache und Lautstärke, mit der die Werbung verkündet wird, ist tatsächlich ausnahmslos so laut, als wolle man von einer Seite des Stadions auf der gegenüberliegenden Seite jemanden überzeugen.

Walter NY4057

Great Neck, 30. Juni 1988

Heute Abend, es geht auf 22:30 Uhr zu, habe ich wieder den Fehler begangen, etwas den Fernseher einzuschalten. Doch während ich mich über das Programm ärgerte, habe ich nochmal über das TV-Programm im allgemeinen nachgedacht.

Ich glaube, die große Enttäuschung, die Europäer -insbesondere Deutsche- beim US-Fernsehen empfinden, beruht auf eine Art Missverständnis, geboren aus einer Gewohnheit. Ich möchte einen Vergleich wagen:

Wenn man ein ledergebundenes Buch aufschlägt, 228 Seiten dick, hervorragend im Druck, so erwartet man selbstverständlich, dass etwas Lesenswertes gedruckt ist. Es kann ein Roman sein, ein Sachbuch, ein Gedichtband, eine Reisebeschreibung. Vielleicht stimmt man nicht völlig dem Geschriebenen zu, vielleicht entspricht es nicht dem eigenen Geschmack, doch zumindest erwartet man etwas Diskussionswürdiges. Andere mögen das Buch hervorragend finden.

Doch was ist ein Buch? Ein Buch steht aus Seiten, auf die man drucken kann, was man will, im Prinzip. Ich glaube, wir alle wären ziemlich erstaunt, wenn wir dies ledergebundene Buch aufschlagen würden und entdeckten nur Banalitäten, Geschmiere, Gossensprache, Mist. Doch prinzipiell kann dies keiner untersagen. Warum nicht Mist auf Hochglanz drucken? Der zunächst ahnungslose Leser muss sich einfach damit vertraut machen, dass sich nicht hinter jedem wertvollen Einband auch etwas Lesenswertes verbirgt.

So ist es auch mit dem Fernsehen in den USA. Es ist einfach ein Mittel, bewegte Bilder ins Haus zu bringen. Ob diese Bildbeiträge entsprechend sind, interessant, langweilig, aufreizend, einschläfernd oder anekelnd, das entscheidet die Fernsehstation. Indem man einen Sender einschaltet bezahlt man dafür, in das Buch schauen zu dürfen. Der Preis dafür ist die Werbung zwischen der Sendung, die man mit ansehen muss. Die Qualität der Sendung orientiert sich am primitivsten Zuschauer, nämlich demjenigen, der noch gut empfänglich für die Werbung ist. Dem darf man dann auch nicht zu viel zumuten. Also bitte keine Beiträge aus Europa, meist weiß man hier doch nicht so genau, wo das liegt. Irgendwo zwischen China, Russland und Australien.

4 thoughts on “Walter K. Panknin – Wie ich die USA sehe – Teil II

  1. Und ob uns das bekannt vorkommt-dieses Konsumverhalten der Amerikaner kann auch ohne weiteres auf viele Deutsche übertragen werden!! Sehr interessant geschrieben! Edda

    Von meinem iPhone gesendet

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    • Ja, liebe Edda, es war nur eine Frage der Zeit. Walter hat sich auch über die Reklame beim Fernsehen geärgert. Das ist jetzt wohl auch in Deutschland mit den ständigen Unterbrechungen im Program Mode geworden. Interessant fand ich, wie auf der anderen Seite Deutschland mit Sex und Erotik in den sechziger Jahren Amerika weit vorrauseilte. Als wir hier nach Kanada auswanderten, fanden wir das Land geradezu prüde. Auch in Bezug auf das Trinken von Alkohol herrschten ganz strenge Gesetze. Aber davon viel später auf meinem Blog. Vielen Dank für diesen und alle deinen lieben Kommentaren!

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