Walter Panknin


Walter Panknin

Guest Post by Gertrud’s Nephew Norbert Werner

Reifferscheid Family Tree – Chart III – III & IV
A very critical view of the US condensed from letters written in the late 1980’s
Photos  from Walter Panknin’s New York Album 1988

Blog Contribution in German by Norbert Werner

Walter NY 3

Vorwort: In einem früheren Beitrag schrieb ich über meine Erlebnisse anlässlich meiner ersten „Westreise“ mit meinem Onkel Walter nach Kanada. Kurz nach unserer Rückkehr übernahm Walter 1987 in New York die Vertretung seiner Firma für die USA und lebte hier längere Zeit. In dieser Zeit entwickelte sich ein intensiver Schriftverkehr. Ich hatte den Eindruck, dass er seine Erlebnisse, Gedanken, Gefühle … jemanden mitteilen wollte. Dazu kam in den Jahren 88/89 die Zeit des Umbruchs in der DDR mit vielen neuen Erfahrungen für uns. Auch ich suchte jemanden, den ich mal fragen konnte über so viele (heute) alltägliche Dinge. Diesen Schriftverkehr habe ich über die Jahre aufbewahrt, aber leider nur die Briefe von Walter an uns (und vielleicht auch an Biene, …). Ich möchte aus diesen einige Passagen zitieren, die ich für bemerkenswert halte. Einiges erscheint aus heutiger Sicht vielleicht merkwürdig, aber sie wurden vor fast 30 Jahren geschrieben und spiegeln die Ereignisse dieser Zeit wieder.

Walter NY 1

  1. Dezember 1987 – 22 Uhr

Mein lieber N.,

– der lange Brief an Euch ist geschrieben

– meine Vorbereitungen für das morgige meeting habe ich abgeschlossen,

– und nun dachte ich, sei es Zeit, Euch zu verraten, warum ich Euch so oft schreibe.

Der Grund ist einfach und nur demjenigen verständlich, der je in den USA gelebt hat.

Als ich am 27. September hier ankam dachte ich mir, es sei vielleicht interessant, ein Tagebuch zu führen. Also kaufte ich mir am 1. Tag bei Woolworth ein Tagebuch. Ich füllte die ersten 5 Seiten aus und dann stellte ich fest – wenn ich umblättere-, dann lösen sich die vorhergehenden Seiten auf. Die Qualität des Heftes war einfach zu schlecht.

Danach habe ich versucht, auf der

   * weltberühmten 5th avenue,

    * dem welt- welt- berühmten Broadway,

   * dem super, super, super technical buisiness supply service ein kleines Heft zu finden,

welches ordentlich gebunden- nicht nur geklebt ist, welches einfach weiße Seiten hat- vielleicht einen hübschen Umschlag-, welches sich nicht von alleine auflöst, wenn man mehr als 6 Seiten umblättert.- Ich habe es bisher nicht gefunden.

Es sollte ein Tagebuch werden, doch es kam nie zustande. Es wurden nur lose Blätter an Euch – die Briefe.

Walter NY 2

  1. Februar 1988

Meine lieben Grimmaer,

obwohl ich gar nicht sicher bin, ob ich meinen letzten Brief an Euch bereits abgeschickt habe, möchte ich doch noch schnell ein paar Zeilen an den „ruhenden Pol“ schreiben.

Nun gut, letzten Dienstag war ich nach Washington geflogen … Danach 3 aufreibende Tage in der Firma. Sie waren deprimierend.

Leute, die 10,20,30 Jahre tätig waren, werden von einer Woche zur nächsten entlassen, sie stehen praktisch auf der Straße,- wenn sie nicht selbst vorgesorgt haben. Es erschüttert mich sehr, dies mit anzusehen. Mit jedem Tag wird man ein Jahr älter…

Morgen werde ich nach Portland fliegen. P. ist nicht New York. P. verhält sich zu N.Y. wie Grimma zu Moskau. Die Leute dort sind anders, die Einstellung, die Atmosphäre. Ich mag die Leute sehr gerne und ich hoffe, sie im Vertrauen auf die St.-Technik bestärken zu können.

Manchmal habe ich das Gefühl, als wenn ich hier wie in „Trance“ lebe. Und ich habe das Gefühl, das es den anderen ebenso geht, es kann nicht anders sein, denn die täglichen, stündlichen, minütlichen Änderungen versetzten einen in Hypnose.

        * Sicher nicht jeden, wenn sein Tagesablauf geregelt ist,

     * Sicher aber so manchen, der wie ich den ständigen Wechseln ausgesetzt ist.

Und das Erstaunliche ist – ich habe es beim letzten Aufenthalt in Gummersbach gemerkt-, man beginnt sich daran zu gewöhnen, man beginnt es vielleicht zu lieben, obwohl man es beinahe „hasst“.

Was ich so schreibe, klingt wie in einem Kitschroman: Die große „Hassliebe“ auf N.Y., doch irgendwie spiegelt es zumindest die augenblickliche Wahrheit wieder.

Eigentlich wollte ich ein weiteres Kapitel über die Kontraste in N.Y. schreiben. Davon gibt es so viele- und sie berühren einen so stark.

Stattdessen lasst mich kurz erzählen, was ich vorgestern gekauft habe für 179 $. Es ist ein Telefon mit allen Schikanen.

      * 10 Nummern kann ich speichern und auf Klopfdruck auswählen,

     * Ich kann einen Anrufbeantworter einschalten, der alles aufnimmt, was während meiner Abwesenheit ankommt,

     * Ich kann beliebige Nachrichten hinterlassen,

     * Ich kann auf eine andere Leitung, z.B. Büro umschalten,

     * Ich kann auf Tastendruck eine belegte Nummer neu anwählen,

    * Zusätzlich kann ich all dies von einem externen Telefon aus erledigen, also

     * hören, was jemand hier ausgerichtet hat,

     * ändern, was ich per Band sagen will etc.

Ein Wunderwerk der Technik, aber zugleich eine Selbstverständlichkeit für alle, die hier leben, ein Kontrast in N.Y. Innerhalb von zwei Minuten habe ich den Flug für morgen reserviert, bestellt, bezahlt- per Telefon. Ein Sprung ins Nachbargebäude, und ich habe mein Ticket. Doch es dauerte 2 ½ Wochen, bis ich 4 Pakete mit Büchern durch den Zoll bekommen habe. Ich musste 5 Formulare (fünf!) ausfüllen, eine Spedition einschalten (162 $) und xxx Anrufe tätigen. Formalismus wie in …

Walter NY4051

Great Neck, 5. Mai 1988, 20.15 Uhr

Obwohl das Telefonnetz in den USA wahrscheinlich das beste der Welt ist, so leidet es doch an einigen Besonderheiten…Man kann innerhalb einer Stunde

     * 5x im Sekretariat anrufen und

     * 5x wird man nach dem Namen gefragt,

     * 5x wird man nach der Firma gefragt,

     * 5x wird man gebeten, die Telefonnummer anzugeben.

Die Frage ist: Warum? Nun, sie ist einfach zu beantworten. In den sogenannten Sekretariaten sitzen Mädchen, die wahrscheinlich nur die vorigen drei Fragen stellen können, mehr haben sie nie gelernt. Es sind schlecht bezahlte Stellen, meist werden sie von Schwarzen besetzt. Ja, das ist N.Y., das ist USA. Die Mädchen im Sekretariat sind komplett überfordert, wenn man ihnen eine Frage stellt, die mehr als 5 Worte umfasst. Wenn man auf die Frage „Dürfen wir zurückrufen?“ mit NEIN antwortet, so bricht für sie eine Welt zusammen, sie wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Also lässt man es besser und wartet auf einen Rückruf…

Als ich vor 2-3 Jahren mit einem China-Projekt befasst war, nahm ich an einem Seminar teil, in dem uns ein wenig die chinesische Philosophie, Haltung, Verhandlungsweise nahegebracht wurde. Jedem schien es selbstverständlich, dass ein solches mehrtägiges Seminar sinnvoll war. Nie würde jedoch jemand auf die Idee kommen, ein solches Seminar für Kontakte in den USA zu veranstalten. Meiner Meinung nach sind die Unterschiede zwischen den USA und Europa wesentlich größer als vielleicht zwischen China und Europa. Die große Gefahr lieg darin, dass man die Unterschiede nicht sofort bemerkt und – sobald man die andere Philosophie kennengelernt hat-, man sich zu schnell daran gewöhnt, und vielleicht akzeptiert.

Es muss einmal gesagt werden, doch es ist wahr: Die USA sind bezüglich Rassenfragen und Nationalismus mit Sicherheit schärfer, drastischer (oft unterschwellig) eingestellt, als es vielleicht je in Deutschland der Fall war. Hier sind es nicht die Juden, die diskriminiert werden. Die Juden –gerade in N.Y.- haben eine Vormachtstellung. Nein, es sind die, – wie man es vornehm umschreibt-, die Minorities, die Minderheiten…

N.Y. wird in der Werbung allgemein „The big Apple“ genannt, von dem jeder ein Stück abbeißen möchte. Man kommt nach N.Y., um „to make money“, nicht, um Geld zu verdienen nein Geld zu machen! Dies ist ein wichtiger Unterschied. Man versucht „Geld zu machen“, nicht durch eigenes Schaffen, Intelligenz, Wissen, sondern durch Ausnutzung der anderen, der Unwissenheit, der Unsicherheit, der Schwierigkeiten anderer, anderer einzelner Personen, Firmen, Konzerne. Man macht 10 $ Gewinn, indem man einen ahnungslosen Taxigast übers Ohr haut …Jemanden, z.B. eine Firma, halbwegs legal um 10.000.000 $ betrogen zu haben, ist eine stolze Leistung! Man lässt sich öffentlich dafür feiern und beglückwünschen.

Es ist eine andere Mentalität, doch es gibt – gottseidank- auch noch andere Amerikaner.

Mit Sicherheit ist das wieder nur eine der vielen, vielen Facetten, die der große Kristall N.Y. hat. Diesmal habe ich einen Blick auf die dunklen Stellen dieses glitzernden Steins geworfen. Aber es gibt auch die schönen Seiten, die guten Stellen, nur, diese nimmt man vielleicht eher selbstverständlich zur Kenntnis, freut sich darüber und vergisst, darüber zu berichten.

Walter NY4052

Great Neck, 19. Mai 1988

Meine Lieben,

Vergangenes Wochenende lernte ich einen Piloten kennen, der über 20 Jahre lang eine große Passagiermaschine geflogen hat, die Boing 727. Er hat ein schönes großes Haus, eine toll eingerichtete Werkstatt und mit Stolz führte er mir seine letzte Errungenschaft vor: Ein elektronisches Wörterbuch. Wenn man nicht genau weiß wie ein Wort geschrieben wird, dann tippt man einen ersten Versuch in das Gerät und erhält dann die korrekte Schreibweise auf Knopfdruck dargestellt. „Walter,“ sagte er, „dies ist eine tolle Errungenschaft, jetzt kann ich endlich wieder Briefe schreiben.“ Der 52jährige Mann hatte einen Hochschulabschluss in Physik, war Pilot und gleichzeitig halber Analphabet.

Als ich bei meinem letzten Aufenthalt in Long Beach mit einem 18jährigen Schüler ins Gespräch kam und sagte, dass ich aus Deutschland sei, antwortete er: „Ach ja, Deutschland ist doch ein Teil von Russland.“

Vor einigen Wochen forderte ich den „Business director“ unserer Firma auf, ein kurzes Protokoll zu schreiben. As er es mir vorlegte waren in der ½ Schreibmaschinenseite ca. 30 Schreibfehler. Der Mann hatte seit Jahren sein erstes Protokoll zu Papier gebracht.

Als ich heute im Supermarkt war, kaufte vor mir ein Mann 2 Artikel à 1,95 $. Er beschwerte sich, als er statt 2×1,95 $ insgesamt 6,45 $ zahlen sollte. Das Mädchen an der Kasse brauchte ca. 15 Minuten, bis es ihr nach 4 oder 5 Versuchen gelang, die zwei Zahlen handschriftlich richtig zu addieren (Die Maschine war leider blockiert.).

Was ich an diesen vier Beispielen nur andeuten konnte, verursacht so manchem Europäer den sogenannten „Kulturschock“. Die Beispiele sind nicht an den Haren herbeigezogen, sie ließen sich beliebig erweitern. Allgemein darf man feststellen: Die allgemeine Schulbildung in den USA ist auf einem derart niedrigen Niveau angelangt, dass es einen erschauern lässt. Es ist deprimierend und erschütternd zu sehen auf welches geistige Niveau die USA abgesackt sind.

Vorwort: Der erste Teil dieses Beitrages beschäftigte sich mit den Menschen und der Lebensweise in den USA. In diesem Betrag fasse ich die Eindrücke über das „Konsumverhalten“ der Amerikaner zusammen. Kommt uns das heute nicht sehr bekannt vor?

Walter NY4054

Great Neck, 4.April 1988

Laut Arbeitsvertrag habe ich Anrecht auf einen Firmenwagen. Doch, wie ihr sicher verstehen werdet, hatte ich bisher kaum Zeit, mich um dessen Anschaffung zu kümmern. Zu oft war ich unterwegs, und auch mit der neuen Wohnung gab es ja genug – und gibt es immer noch- zu tun.

Nun, nach einigem Hin und Her habe ich schließlich ab 30. März zunächst mal einen Wagen gemietet und siehe da, mit einem mobilen Untersatz eröffnen sich völlig neue Welten…

Endlich habe ich auch die Supermarkets entdeckt, die ich aus Kanada kannte und bisher vermisst hatte. Natürlich sind sie noch ein wenig größer als in Toronto oder Nakusp, doch das macht das Einkaufen nicht immer einfacher.

Nun muss ich ein 95m langes Brotregal abklappern um letztendlich festzustellen, dass zwischen den 138 verschiedenen Brotsorten nur wenige Unterschiede sind. Alle sind gleich labbrig und schwammig. Danach gehe ich das 95m lange Regal zurück, um zwischen 328 Sorten Haarwaschmittel auszusuchen, dann wieder 95m in die andere Richtung, um zwischen 38 verschiedenen Sorten Tomatensaft zu wählen. Es sind nur 38 Sorten, aber sie nehmen jeweils soviel Platz ein. Auf dem Rückweg durch Reihe 4 find ich die tollen Angebote über Toilettenpapier-jede Farbnuance, die gewünscht ist-, Reihe 5 bringt dann Dosensuppen, Reihe 6 bringt Gemüse in Dosen, Reihe 7 –immer noch 95m lang- gestattet die Wahl zwischen 42 Sorten Cornflakes, Reihe 8- schon etwas müde auf den Füßen entlanggelaufen- hat nur Katzennahrung … Na ja, so klappert man also seinen Supermarket ab. Man kauft nicht einfach „Klopapier“, nein, man kauft einen „value“, einen „Wert“. Und was für einen „value“! das Klopapier ist um 9 cent die Rolle herabgesenkt- welch ein Geschäft! Es ist ein „bargain“-, ein Geschäft was ich mache, wenn ich nun sofort 10 Rollen, nein 100 Rollen, am besten 1000 Rollen kaufe. Dann habe ich ja 1000×9 cent gespart. Es ist unglaublich und ihr werdet es mir auch kaum abnehmen

Aber diese Neuigkeit, das diese besondere Sorte Klopapier ab gestern 9 cent billiger ist als bisher, wird vielleicht sogar im Fernsehen angekündigt als sei ein Goldschatz plötzlich umsonst zu vergeben.

Der Witz der Werbung liegt übrigens darin:

     * Das Klopapier ist 9 cent billiger

     * Für das Auto zahlt man 500 $ weniger

     * Für das Radio zahlt man 100 $ weniger.

Nie wird gesagt, wieviel die Sachen vorher gekostet haben und jetzt kosten. Dazu muss man anrufen oder eben ins Geschäft kommen.

Heute war ich in einem Möbelgeschäft, das letzte Woche eine ganzseitige Anzeige in einer der größten Zeitungen hier hatte- der „New York Times“. Angepriesen wurde ein sehr hübsches Regal. Doch wenn ihr nun denkt, dieses Regal sei zu kaufen gewesen, dann habt ihr euch geschnitten. Es war nicht zu besichtigen, nicht auf Lager, – erst ab Mai erhältlich.
Warum also die horrend teure Werbung? Ganz einfach, um Kunden ins Geschäft zu locken und ihnen etwas anderes anzudrehen.

Möbelkauf ist übrigens in N.Y.- wahrscheinlich in den ganzen USA- ein sehr schwieriges Geschäft für Europäer. Es gibt 3 Sorten Möbel.

Die erste Sorte ist die Billigsorte: Tisch, Stühle, Regale, alles für 49,99 $. Die Qualität ist entsprechend. Nachdem man 2x auf dem Stuhl saß, bricht er zusammen, das Regal ist stabil genug, gerade sich selbst zu tragen- wehe, wenn man 2 Bücher reinstellt.

Möbel Sorte 2: Das ist Rokoko und Barock auf amerikanisch. Imitierte Eiche, viele Schnörkel viel blinkendes Messing, Preis relativ hoch. Dafür klemmen die Schubladen, hängen die Türen schief in den Scharnieren. Für den US-Geschmack nett anzusehen, aber nur aus 20m Entfernung. Es ist ein Teil des Showgeschäfts: Große Fassade- nichts dahinter.

Möbel Sorte 3, das sind die Importe aus Europa, doch leider die miesen Qualitäten. Denn man will ja gleichzeitig die Käuferschicht der Klasse 1 ansprechen, also 49,99 $, diesmal kosten die Regale 499,95 $, doch ist die Qualität in keiner Weise angemessen. Es ist wirklich ein Jammer, ich war heute in 5 Geschäften und danach so tief enttäuscht.

Walter NY4055

N.Y., 2. Mai 1988

Wie ich schrieb, habe ich das Auto von der Gesellschaft AVIS gemietet. Als ich letztes Wochenende mit Rob durch die Gegend fuhr, sagte ich: „Ach, die Size in diesem Auto sind wirklich unbequem Eigentlich müsste ich es umtauschen.“ Da wir gerade zufällig in der Nähe einer AVIS-Station waren, hielt ich dort an und sagte, dass mir die Sitze zu unbequem sind.

„O.K. Sir, welchen Wagen möchten Sie?“ Ich ging zum Parkplatz, probierte ein paar Autos aus und entschied mich dann für einen Toyota. Innerhalb von ca. 6 Minuten hatte ich einen neuen Vertrag, die Sachen umgeladen und ab ging es in dem neuen Gefährt. Dieser Wagen ist viel bequemer. Er hat elektrisch verstellbare Fenster, Klimaanlage, Radio und Kassettenrecorder usw.

Doch warum erwähne ich das? Was mich immer wieder verblüfft, ist die Schnelligkeit, mit der man so manche Dinge erledigen kann, während andere Sachen oft sehr langsam und umständlich gehandhabt werden.

Rob und ich sind dann zu einem Einkaufszentrum gefahren, wo ich mir noch einen kleinen Fernseher für meinen Computer gekauft habe. Natürlich habe ich wieder etwas gehandelt- und siehe da, ich bekam das Gerät für 298 $ statt für 329 $. Es ist ein Farbfernseher von Sony, mit Fernbedienung, im Prinzip sehr preiswert. Dabei gibt es andere Marken sogar schon für ca. 200 $, doch ist die Qualität nicht so gut.

Walter NY4056

Great Neck, 19. Mai 1988

Wenn man allein, vielleicht sogar nachts, in einer großen leeren Halle ist, so wird man durch das kleinste Geräusch aufgeschreckt und aufmerksam. Wenn man aber in einem tobenden Fußballstadion ist und seinem Nachbarn etwas sagen will, so muss man brüllen, um sich verständlich zu machen.

N.Y. ist wie ein tobendes Fußballstadion. Dementsprechend noch lautstarker, marktschreierischer, greller und überzogener ist die Werbung, um auf ihre Produkte aufmerksam zu machen. Man kann sich der Werbung nicht entziehen. Im Radio, Fernsehen, in Zeitschriften, auf Plakaten hämmert sie auf die Menschen ein. Sie ist nicht elegant, witzig, unterschwellig informativ oder anregend, sondern ganz einfach brutal. Die 4 wichtigsten Worte werden aneinandergereiht und jedem eingehämmert: MORE VALUE for YOUR DOLLARS. Dieser Slogan muss von einem Computer ausgedacht sein:

„Mehr“: jeder will mehr haben, alle streben nach mehr, nach viel mehr, nach Geld, Reichtum, Einfluss, Macht.

„Wert“: Es wird kein Produkt angesprochen, sondern der besondere Wert. Der besondere Wert einer Cornflakes Sorte, der besondere Wert eines Reinigungsmittels, der besondere Wert der neuen Coca Cola.

„Deine Dollars“: Die will man haben, die sollen ausgegeben werden, dafür bekommt man „Wert“. Die Dollars sollen locker gemacht werden im wahrsten Sinn des Wortes.

Nirgendwo kann man so viele Leute beobachten, die offen auf der Straße ihre Dollars zählen wie in N.Y. Dicke Geldscheinbündel werden an den Straßenecken durchgezählt. Oft ist es gar nicht soviel Geld, denn es gibt ja den 1 $-Schein-, aber man berauscht sich am Anblick des dicken Geldbündels.

Die Sprache und Lautstärke, mit der die Werbung verkündet wird, ist tatsächlich ausnahmslos so laut, als wolle man von einer Seite des Stadions auf der gegenüberliegenden Seite jemanden überzeugen.

Walter NY4057

Great Neck, 30. Juni 1988

Heute Abend, es geht auf 22:30 Uhr zu, habe ich wieder den Fehler begangen, etwas den Fernseher einzuschalten. Doch während ich mich über das Programm ärgerte, habe ich nochmal über das TV-Programm im allgemeinen nachgedacht.

Ich glaube, die große Enttäuschung, die Europäer -insbesondere Deutsche- beim US-Fernsehen empfinden, beruht auf eine Art Missverständnis, geboren aus einer Gewohnheit. Ich möchte einen Vergleich wagen:

Wenn man ein ledergebundenes Buch aufschlägt, 228 Seiten dick, hervorragend im Druck, so erwartet man selbstverständlich, dass etwas Lesenswertes gedruckt ist. Es kann ein Roman sein, ein Sachbuch, ein Gedichtband, eine Reisebeschreibung. Vielleicht stimmt man nicht völlig dem Geschriebenen zu, vielleicht entspricht es nicht dem eigenen Geschmack, doch zumindest erwartet man etwas Diskussionswürdiges. Andere mögen das Buch hervorragend finden.

Doch was ist ein Buch? Ein Buch steht aus Seiten, auf die man drucken kann, was man will, im Prinzip. Ich glaube, wir alle wären ziemlich erstaunt, wenn wir dies ledergebundene Buch aufschlagen würden und entdeckten nur Banalitäten, Geschmiere, Gossensprache, Mist. Doch prinzipiell kann dies keiner untersagen. Warum nicht Mist auf Hochglanz drucken? Der zunächst ahnungslose Leser muss sich einfach damit vertraut machen, dass sich nicht hinter jedem wertvollen Einband auch etwas Lesenswertes verbirgt.

So ist es auch mit dem Fernsehen in den USA. Es ist einfach ein Mittel, bewegte Bilder ins Haus zu bringen. Ob diese Bildbeiträge entsprechend sind, interessant, langweilig, aufreizend, einschläfernd oder anekelnd, das entscheidet die Fernsehstation. Indem man einen Sender einschaltet bezahlt man dafür, in das Buch schauen zu dürfen. Der Preis dafür ist die Werbung zwischen der Sendung, die man mit ansehen muss. Die Qualität der Sendung orientiert sich am primitivsten Zuschauer, nämlich demjenigen, der noch gut empfänglich für die Werbung ist. Dem darf man dann auch nicht zu viel zumuten. Also bitte keine Beiträge aus Europa, meist weiß man hier doch nicht so genau, wo das liegt. Irgendwo zwischen China, Russland und Australien.

Walter K. Panknin – Wie ich 1989/90 in den USA erlebt habe

(Wie ich die USA sehe – Teil III)

Zusammengestellt von Norbert Werner

Vorwort: Ende 1989 begannen unruhige Zeiten in der DDR. Die Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten für einen „besseren Sozialismus“. Mit dem Anschluss an die Bundesrepublik und der Wiedervereinigung im Oktober 1990 kamen viele neue Sorgen und Probleme auf uns bisher recht unmündige Bürger zu. Ich suchte mir in Walter einen Gesprächspartner, der mir manches erklären und vielleicht auch einen Rat geben sollte.

Arlington, 30.9.1989

Ja, meine Lieben, auch ich habe in der Presse verfolgt, was in Deutschland so vor sich geht. Mehr als einmal habe ich an Euch alle gedacht und mich in Eure Situation versetzt… Ich bin ziemlich sicher, dass sich der in der UdSSR begonnene Prozess der Liberalisierung nicht mehr aufhalten lässt und über kurz oder lang auch in der DDR fortsetzen wird. Ein einzelnes Land, so groß oder klein wie die DDR, kann nicht auf Dauer in so verkrusteten Strukturen bestehen, vor allem nicht, wenn ja praktisch alle Nachbarländer, alle Verbündeten, alle Vorbilder von früher einen neuen Kurs einschlagen. Die Menschen sind einfach mündiger geworden. Zu lange hat man ihnen einzureden versucht, dass schwarz=rot ist, das ein Kreis viereckig ist. Lange, allzu lange haben sich die Menschen damit abgefunden, haben sich ihren eigenen Teil gedacht. Doch irgendwann kommt einfach mal der Punkt, wo man offen sagen dürfen will: Schwarz ist schwarz und rot ist rot, und ein Kreis ist rund. Es ist im Grunde die in jedem Menschen verbleibende „Würde“, die sich nicht total unterdrücken lässt. Es ist die Würde und das eigene Streben, ausreichend selbst bestimmen zu können was man tut, wohin man sich entwickelt, was man wird. Ich bin absolut sicher, dass in kurzer Zeit, in wenigen Monaten, maximal 1-2 Jahre, auch in der DDR ein Umdenken und ein drastischer Wandel stattfinden wird. Ich hoffe nur, dass dieser Wandel einigermaßen geordnet, ohne dramatische Vorgänge erfolgen wird. Wie es gehen kann hat man in Russland, Polen, Ungarn gesehen.

Leipzig,Montagsdemonstration - Photo Credit: wikipedia.org

Leipzig,Montagsdemonstration – Photo Credit: wikipedia.org

Arlington, 23.10.1989

Leber N., liebe Ch., ich war in den letzten Jahren vielleicht nicht so oft bei Euch, aber doch oft genug, um mir ein sehr plastisches Bild von dem machen zu können was Euch in diesen Wochen und Monaten berührt. Auch hat uns unser reger Schriftwechsel im letzten Jahr noch näher zueinander gebracht, als wir ohnehin schon waren. Man braucht nur die Anzahl der Flüchtlinge der letzten Monate durch die Bevölkerungszahl zu dividieren um sofort zu sehen, dass fast ein jeder ganz persönlich betroffen ist. Plötzlich fehlt ein Freund, ein Kollege, ein Bekannter. Auch kann ich Deine Wut und Enttäuschung verstehen, dass gerade diejenigen geflohen sind, denen es noch am besten ging. Mit Deiner trotzdem so besonnenen Haltung scheinst Du gottseidank nicht allein dazustehen. Wie ich in der Zeitung gelesen habe, muss vor allem der große Protestumzug in Leipzig sehr verhalten und besonnen gewesen sein.

Berlin Demonstration - Photo Credit: wikipedia.org

Berlin Demonstration – Photo Credit: wikipedia.org

Arlington, 9.11.1989

Meine Lieben,

mein Brief von gestern ist noch nicht abgeschickt und die Ereignisse haben sich überschlagen. Heute ist die Mauer gefallen. Mir fehlen die Worte, um Euch meine Empfindungen und Gefühle zu schildern. Was soll ich in diesen Stunden denken und schreiben, die in die Geschichte Deutschlands eingehen und die uns persönlich alle so tiefgreifend beeinflussen werden. Ich wünsche Euch Kraft, Besonnenheit und einen klaren Kopf, um in dieser Zeit weiterhin das richtige zu tun. Ich bin bei Euch allen in meinen Gedanken und bleibe Euer Walter.

Fall der Mauer - Photo Credit: wikipedia.org

Fall der Mauer – Photo Credit: wikipedia.org

Arlington, 18.12.1989

Meine Lieben, der Versuch, die Ereignisse der letzten Wochen zu beschreiben und zu charakterisieren führt mich hinweg von Eurem und meinem Alltag. Doch eines Tages werden eure Kinder sagen können: „Ich habe es erlebt- ich war dabei!“ Ich hoffe und wünsche, dass die Ereignisse in der DDR sich niemals wieder umkehren werden. Ich weiß, das der Westen sicherlich nicht Sinnbild alles Guten ist, doch ich bin aus tiefstem Herzen überzeugt, dass Ihr alle einen Schritt in die richtige Richtung tut. Es wird Euch alle fordern,- es wird nicht leicht sein,- doch was war leicht in der Vergangenheit? Es wird Euch helfen auf lange Sicht. Und wenn ich sage „lange Sicht“, so meine ich die nächsten 5-10 Jahre.

Arlington, 9.10.1990

Aus der Ferne, doch in Gedanken war ich voll dabei, habe ich die Vereinigung unserer beiden Staaten erlebt und mitverfolgt. Zwei Staaten, wie sie sich gegensätzlicher kaum vorstellen lassen, die aber trotzdem zusammengehören Dies ist, jeder weiß und spürt und erlebt es, kein leichter Prozess. Für beide Seiten. Ich habe vor Kurzem an die Zeit nach 1945 gedacht, als meine Eltern im Alter von 53 bzw. 56 Jahren mit zwei 10jährigen Kindern und zwei Koffern ein neues Leben begannen. Ich glaube, wir haben ca. 4 oder 5 Jahre in einer Einzimmer-„Wohnung“ gelebt, ehe wir die erste Wohnung bekamen. 1961- im Jahr des Mauerbaues- machten wir unsere allererste Urlaubsreise nach Italien an den Gardasee.