Anke Schubert schreibt über ihre Eltern
Eberhard Trampenau und Elisabeth Kegler
Familienzweig Kegler – Karte II a – III
Rühstädt, Quitzöbel 1953
Es war einmal – so beginnt auch dieses Märchen von einer großen Liebe, die 27 Jahre später nach vielen Höhen und Tiefen erloschen sein sollte – eine junge Lehrerin. Das war Elisabeth, die später unsere Mutter werden sollte. Sie zählte 20 Lenze und war ein sehr hübsches Mädchen. Eigentlich hatte sie ihre Lehrerausbildung noch gar nicht abgeschlossen, weil ihre lebensbejahende und offene Art es mit sich brachte, dass der Weg zum Ziel so manches Mal durch Umwege verlängert wurde. Nach ihrem Abitur hatte Elisabeth angefangen, in Potsdam Pädagogik und Deutsch zu studieren. Doch schon nach einem Jahr entschied sie sich, das Studium abzubrechen, denn eine unglückliche Liebe ließ es ihr unmöglich erscheinen, weiter in Potsdam zu bleiben.

View of the rebuilt Potsdam City Palace at night – Photo Credit: wikipedia.org
Dieses Hindernis auf dem geradlinigen Weg zum Erreichen des Berufszieles hörte auf den Namen Jochen. Er war das, was man gemeinhin einen Herzensbrecher nennt, sah gut aus, war bei allen beliebt und hatte schließlich sein Interesse Elisabeth zugewandt, die ihr Glück zunächst gar nicht fassen konnte. Man traf sich häufiger, ging zusammen aus und Elisabeth war überaus zufrieden. Der junge Mann, immerhin schon 22-jährig, wollte sich aber schon nach kurzer Zeit nicht nur mit Händchenhalten und Abschiedsküsschen abfinden. So inszenierte er die perfekte Verführungssituation – eine Flasche Wein, Kerzenschein und leise Musik. Elisabeth fand das zwar wunderschön und sehr rührend, war aber trotzdem noch nicht zu dem bereit, was er sich erhoffte. Sie bat um Jochens Verständnis und um mehr Zeit. Beides war er aber nicht zu geben bereit. Verletzte männliche Eitelkeit und Egoismus ließen ihn vom feurigen Verführer zum beleidigten Macho werden, und um ihr zu beweisen, dass er keineswegs auf sie angewiesen war, tauchte er alsbald mit einer anderen Dame an seiner Seite in Potsdams Straßen auf. Elisabeth war darüber sehr unglücklich. Sie meinte, es nicht ertragen zu können, ihn und seine jeweiligen Bekanntschaften noch jahrelang sehen zu müssen und brach kurzerhand das Studium ab.

City Hall and Church at Perleberg – Photo Credit: wikipedia.org
Das war damals wohl nicht ganz so tragisch – gemeint ist natürlich der Abbruch des Studiums, nicht dessen Ursache -, denn es gab für sie wie für viele andere junge Leute die Möglichkeit, schon als Lehrerin zu arbeiten und sich nebenbei durch Weiterbildungen auf die erste und später auf die zweite Lehrerprüfungen vorzubereiten. Also reiste Elisabeth von Potsdam nach Perleberg und ging zusammen mit einer Freundin zum Schulamt, um sich um eine Lehrerstelle zu bewerben. Der Schulrat hörte sich ihre Geschichte an, hatte ein gewisses Verständnis für ihre Situation und bot ihr an, nach Quitzöbel zu gehen, dort an der Schule ihre praktische Ausbildung zu vollenden und ein Jahr später, im Juli 1954, ihre staatliche Abschlussprüfung abzulegen. Elisabeth war überglücklich, als sie das Schulamt verließ. Nun sollte doch noch alles gut werden, und sie konnte ihr Berufsziel verwirklichen.

Village Church of Legde-Quitzöbel – – – Photo Credit: wikipedia.org
Als ansonsten meist folgsame Tochter hatte sie es in diesem Fall aber leider versäumt, ihre Familie über diese nicht unwesentliche Abänderung ihres beruflichen Entwicklungsweges zu informieren. Just an diesem Tag hatte nun ihre Mutter Johanna, die ja auch Lehrerin war, dringende Erledigungen beim Schulamt zu machen und traf dort ihre Tochter, die gerade glücklich in Richtung ihres neuen Wirkungskreises aufbrechen wollte. Von Mutter Johanna zur Rede gestellt, beichtete Elisabeth alles. Johanna war äußerst aufgebracht und forderte, alles wieder rückgängig zu machen und nach Potsdam zurückzukehren, aber Elisabeth ließ sich nicht dazu überreden und fing ungeachtet des Protestes ihrer Mutter ihr neues Leben in Quitzöbel an.
„Zum Verlieben, nur nicht mehr zum Kriegen“

Schloss in Birkholz – Foto: gemeinde-karstaedt.de
Nun gab es an dieser Schule in Quitzöbel einen Schulleiter, dessen Name Eberhard Trampenau war, und der zu diesem Zeitpunkt als 28-Jähriger schon ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich hatte. Er stammte aus Dallmin bei Karstädt, wo er zusammen mit drei Brüdern und zwei Schwestern auf einem Gutshof aufwuchs. Sein Vater war dort herrschaftlicher Kutscher, seine Mutter arbeitete auch auf dem Gut. Die Eltern hatten es nicht leicht, ihre sechs Kinder durchzubringen. Mutter Minna war gezwungen, bei der Arbeit auf dem Gut immer mal wieder ein paar Kartoffeln oder Rüben mitgehen zu lassen, um die vielen hungrigen Mäuler zu Hause zu stopfen. Vater Albert war überzeugter Atheist, was in jener Zeit, der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, ziemlich ungewöhnlich und dem Ruf der Familie im Dorf nicht gerade förderlich war. Es entsprach dem damaligen Zeitgeist, dass Pfarrer, Lehrer und Gutsbesitzer in einem Dorf bestimmten, was „rechtens“ war. Auch Eberhard hatte das als Jugendlicher zu spüren bekommen, denn als er konfirmiert werden wollte, war der Pfarrer der Meinung, dass er nicht die „richtigen“ Sachen anhabe und ließ ihn aus diesem Grund nicht zur Konfirmation zu. Es ist verständlich, dass Eberhards Einstellung zur Kirche zeit seines Lebens nicht nur ablehnend, sondern auch von Wut und Intoleranz gekennzeichnet war. Sein Werdegang als Jugendlicher und junger Mann war durch die Verhältnisse der dreißiger Jahre und der Kriegszeit vorprogrammiert: Hitlerjugend, Arbeitsdienst, Unteroffiziersschule, Kandidat der Offiziersschule. Mit 18 Jahren musste er in den Krieg ziehen, wurde dort bald verwundet und verlor zwei Finger. Gleich nach dem Krieg nahm er an einem „Neulehrerlehrgang“ teil (der kurioserweise wahrscheinlich im Gutshaus in Dallmin stattfand), das heißt, er wurde in relativ kurzer Zeit zum Lehrer ausgebildet, an denen damals großer Mangel herrschte. Sie waren entweder im Krieg gefallen oder aufgrund ihrer politischen Vergangenheit für diesen Beruf nicht mehr tragbar.
Jedenfalls hatte es Eberhard in dem Jahr, als Elisabeth an seine Schule kam, bereits zum Schulleiter gebracht. Auch war er bereits verheiratet und hatte eine Tochter, wobei Gerüchte über lautstarke Auseinandersetzungen und durch die Luft fliegende (volle!) Windeln darauf hinwiesen, dass diese Ehe nicht gerade glücklich verlief.

Elisabeth 1955
Kaum hatte Elisabeth ihre Arbeit an der Schule in Quitzöbel begonnen, verliebte sie sich Hals über Kopf in ihren Schulleiter. In ihrem Tagebuch – das ich 20 Jahre später lesen durfte und das mich zu Tränen rührte, und das dann irgendwann unverzeihlicher Weise und zu meinem großen Bedauern nach einem heftigen Ehestreit in den Heizkessel flog – schwärmte sie immer wieder davon, wie nett und gutaussehend und klug er sei. An die Worte „Zum Verlieben, nur nicht mehr zum Kriegen“ kann ich mich noch genau erinnern. Wie das Leben so spielt, war auch Eberhard recht angetan von ihr, und es kam, wie es kommen musste: sie gaben ihren Gefühlen nach und beschworen damit für sich und natürlich auch für ihre Familien eine schwere Zeit herauf. Viele Kollegen verurteilten sie, Elisabeths Mutter und Großmutter versuchten hektisch, sie zu bekehren, Eberhards Frau war unglücklich, aber sie konnten nicht voneinander lassen. War es Unrecht? Ich bin da nicht ganz objektiv, denn wären die beiden „vernünftig“ geblieben, würde es mich und meine Geschwister nicht geben, und das fände ich ganz schön traurig. Also mag das jeder selbst beurteilen, und wer darüber den Stab bricht, hat entweder noch nie geliebt oder war bei Eintritt seiner eigenen großen Liebe in der glücklichen Lage, gerade frei und ungebunden zu sein.