Walter K. Panknin – Wie ich die USA sehe – Teil I

Guest Post by Gertrud’s Nephew Norbert Werner

Reifferscheid Family Tree – Chart III – III & IV
A very critical view of the US condensed from letters written in the late 1980’s
Photos  from Walter Panknin’s New York Album 1988

Blog Contribution in German by Norbert Werner

Walter NY 3

Vorwort: In einem früheren Beitrag schrieb ich über meine Erlebnisse anlässlich meiner ersten „Westreise“ mit meinem Onkel Walter nach Kanada. Kurz nach unserer Rückkehr übernahm Walter 1987 in New York die Vertretung seiner Firma für die USA und lebte hier längere Zeit. In dieser Zeit entwickelte sich ein intensiver Schriftverkehr. Ich hatte den Eindruck, dass er seine Erlebnisse, Gedanken, Gefühle … jemanden mitteilen wollte. Dazu kam in den Jahren 88/89 die Zeit des Umbruchs in der DDR mit vielen neuen Erfahrungen für uns. Auch ich suchte jemanden, den ich mal fragen konnte über so viele (heute) alltägliche Dinge. Diesen Schriftverkehr habe ich über die Jahre aufbewahrt, aber leider nur die Briefe von Walter an uns (und vielleicht auch an Biene, …). Ich möchte aus diesen einige Passagen zitieren, die ich für bemerkenswert halte. Einiges erscheint aus heutiger Sicht vielleicht merkwürdig, aber sie wurden vor fast 30 Jahren geschrieben und spiegeln die Ereignisse dieser Zeit wieder.

Walter NY 1

  1. Dezember 1987 – 22 Uhr

Mein lieber N.,

– der lange Brief an Euch ist geschrieben

– meine Vorbereitungen für das morgige meeting habe ich abgeschlossen,

– und nun dachte ich, sei es Zeit, Euch zu verraten, warum ich Euch so oft schreibe.

Der Grund ist einfach und nur demjenigen verständlich, der je in den USA gelebt hat.

Als ich am 27. September hier ankam dachte ich mir, es sei vielleicht interessant, ein Tagebuch zu führen. Also kaufte ich mir am 1. Tag bei Woolworth ein Tagebuch. Ich füllte die ersten 5 Seiten aus und dann stellte ich fest – wenn ich umblättere-, dann lösen sich die vorhergehenden Seiten auf. Die Qualität des Heftes war einfach zu schlecht.

Danach habe ich versucht, auf der

   * weltberühmten 5th avenue,

    * dem welt- welt- berühmten Broadway,

   * dem super, super, super technical buisiness supply service ein kleines Heft zu finden,

welches ordentlich gebunden- nicht nur geklebt ist, welches einfach weiße Seiten hat- vielleicht einen hübschen Umschlag-, welches sich nicht von alleine auflöst, wenn man mehr als 6 Seiten umblättert.- Ich habe es bisher nicht gefunden.

Es sollte ein Tagebuch werden, doch es kam nie zustande. Es wurden nur lose Blätter an Euch – die Briefe.

Walter NY 2

  1. Februar 1988

Meine lieben Grimmaer,

obwohl ich gar nicht sicher bin, ob ich meinen letzten Brief an Euch bereits abgeschickt habe, möchte ich doch noch schnell ein paar Zeilen an den „ruhenden Pol“ schreiben.

Nun gut, letzten Dienstag war ich nach Washington geflogen … Danach 3 aufreibende Tage in der Firma. Sie waren deprimierend.

Leute, die 10,20,30 Jahre tätig waren, werden von einer Woche zur nächsten entlassen, sie stehen praktisch auf der Straße,- wenn sie nicht selbst vorgesorgt haben. Es erschüttert mich sehr, dies mit anzusehen. Mit jedem Tag wird man ein Jahr älter…

Morgen werde ich nach Portland fliegen. P. ist nicht New York. P. verhält sich zu N.Y. wie Grimma zu Moskau. Die Leute dort sind anders, die Einstellung, die Atmosphäre. Ich mag die Leute sehr gerne und ich hoffe, sie im Vertrauen auf die St.-Technik bestärken zu können.

Manchmal habe ich das Gefühl, als wenn ich hier wie in „Trance“ lebe. Und ich habe das Gefühl, das es den anderen ebenso geht, es kann nicht anders sein, denn die täglichen, stündlichen, minütlichen Änderungen versetzten einen in Hypnose.

        * Sicher nicht jeden, wenn sein Tagesablauf geregelt ist,

     * Sicher aber so manchen, der wie ich den ständigen Wechseln ausgesetzt ist.

Und das Erstaunliche ist – ich habe es beim letzten Aufenthalt in Gummersbach gemerkt-, man beginnt sich daran zu gewöhnen, man beginnt es vielleicht zu lieben, obwohl man es beinahe „hasst“.

Was ich so schreibe, klingt wie in einem Kitschroman: Die große „Hassliebe“ auf N.Y., doch irgendwie spiegelt es zumindest die augenblickliche Wahrheit wieder.

Eigentlich wollte ich ein weiteres Kapitel über die Kontraste in N.Y. schreiben. Davon gibt es so viele- und sie berühren einen so stark.

Stattdessen lasst mich kurz erzählen, was ich vorgestern gekauft habe für 179 $. Es ist ein Telefon mit allen Schikanen.

      * 10 Nummern kann ich speichern und auf Klopfdruck auswählen,

     * Ich kann einen Anrufbeantworter einschalten, der alles aufnimmt, was während meiner Abwesenheit ankommt,

     * Ich kann beliebige Nachrichten hinterlassen,

     * Ich kann auf eine andere Leitung, z.B. Büro umschalten,

     * Ich kann auf Tastendruck eine belegte Nummer neu anwählen,

    * Zusätzlich kann ich all dies von einem externen Telefon aus erledigen, also

     * hören, was jemand hier ausgerichtet hat,

     * ändern, was ich per Band sagen will etc.

Ein Wunderwerk der Technik, aber zugleich eine Selbstverständlichkeit für alle, die hier leben, ein Kontrast in N.Y. Innerhalb von zwei Minuten habe ich den Flug für morgen reserviert, bestellt, bezahlt- per Telefon. Ein Sprung ins Nachbargebäude, und ich habe mein Ticket. Doch es dauerte 2 ½ Wochen, bis ich 4 Pakete mit Büchern durch den Zoll bekommen habe. Ich musste 5 Formulare (fünf!) ausfüllen, eine Spedition einschalten (162 $) und xxx Anrufe tätigen. Formalismus wie in …

Walter NY4051

Great Neck, 5. Mai 1988, 20.15 Uhr

Obwohl das Telefonnetz in den USA wahrscheinlich das beste der Welt ist, so leidet es doch an einigen Besonderheiten…Man kann innerhalb einer Stunde

     * 5x im Sekretariat anrufen und

     * 5x wird man nach dem Namen gefragt,

     * 5x wird man nach der Firma gefragt,

     * 5x wird man gebeten, die Telefonnummer anzugeben.

Die Frage ist: Warum? Nun, sie ist einfach zu beantworten. In den sogenannten Sekretariaten sitzen Mädchen, die wahrscheinlich nur die vorigen drei Fragen stellen können, mehr haben sie nie gelernt. Es sind schlecht bezahlte Stellen, meist werden sie von Schwarzen besetzt. Ja, das ist N.Y., das ist USA. Die Mädchen im Sekretariat sind komplett überfordert, wenn man ihnen eine Frage stellt, die mehr als 5 Worte umfasst. Wenn man auf die Frage „Dürfen wir zurückrufen?“ mit NEIN antwortet, so bricht für sie eine Welt zusammen, sie wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Also lässt man es besser und wartet auf einen Rückruf…

Als ich vor 2-3 Jahren mit einem China-Projekt befasst war, nahm ich an einem Seminar teil, in dem uns ein wenig die chinesische Philosophie, Haltung, Verhandlungsweise nahegebracht wurde. Jedem schien es selbstverständlich, dass ein solches mehrtägiges Seminar sinnvoll war. Nie würde jedoch jemand auf die Idee kommen, ein solches Seminar für Kontakte in den USA zu veranstalten. Meiner Meinung nach sind die Unterschiede zwischen den USA und Europa wesentlich größer als vielleicht zwischen China und Europa. Die große Gefahr lieg darin, dass man die Unterschiede nicht sofort bemerkt und – sobald man die andere Philosophie kennengelernt hat-, man sich zu schnell daran gewöhnt, und vielleicht akzeptiert.

Es muss einmal gesagt werden, doch es ist wahr: Die USA sind bezüglich Rassenfragen und Nationalismus mit Sicherheit schärfer, drastischer (oft unterschwellig) eingestellt, als es vielleicht je in Deutschland der Fall war. Hier sind es nicht die Juden, die diskriminiert werden. Die Juden –gerade in N.Y.- haben eine Vormachtstellung. Nein, es sind die, – wie man es vornehm umschreibt-, die Minorities, die Minderheiten…

N.Y. wird in der Werbung allgemein „The big Apple“ genannt, von dem jeder ein Stück abbeißen möchte. Man kommt nach N.Y., um „to make money“, nicht, um Geld zu verdienen nein Geld zu machen! Dies ist ein wichtiger Unterschied. Man versucht „Geld zu machen“, nicht durch eigenes Schaffen, Intelligenz, Wissen, sondern durch Ausnutzung der anderen, der Unwissenheit, der Unsicherheit, der Schwierigkeiten anderer, anderer einzelner Personen, Firmen, Konzerne. Man macht 10 $ Gewinn, indem man einen ahnungslosen Taxigast übers Ohr haut …Jemanden, z.B. eine Firma, halbwegs legal um 10.000.000 $ betrogen zu haben, ist eine stolze Leistung! Man lässt sich öffentlich dafür feiern und beglückwünschen.

Es ist eine andere Mentalität, doch es gibt – gottseidank- auch noch andere Amerikaner.

Mit Sicherheit ist das wieder nur eine der vielen, vielen Facetten, die der große Kristall N.Y. hat. Diesmal habe ich einen Blick auf die dunklen Stellen dieses glitzernden Steins geworfen. Aber es gibt auch die schönen Seiten, die guten Stellen, nur, diese nimmt man vielleicht eher selbstverständlich zur Kenntnis, freut sich darüber und vergisst, darüber zu berichten.

Walter NY4052

Great Neck, 19. Mai 1988

Meine Lieben,

Vergangenes Wochenende lernte ich einen Piloten kennen, der über 20 Jahre lang eine große Passagiermaschine geflogen hat, die Boing 727. Er hat ein schönes großes Haus, eine toll eingerichtete Werkstatt und mit Stolz führte er mir seine letzte Errungenschaft vor: Ein elektronisches Wörterbuch. Wenn man nicht genau weiß wie ein Wort geschrieben wird, dann tippt man einen ersten Versuch in das Gerät und erhält dann die korrekte Schreibweise auf Knopfdruck dargestellt. „Walter,“ sagte er, „dies ist eine tolle Errungenschaft, jetzt kann ich endlich wieder Briefe schreiben.“ Der 52jährige Mann hatte einen Hochschulabschluss in Physik, war Pilot und gleichzeitig halber Analphabet.

Als ich bei meinem letzten Aufenthalt in Long Beach mit einem 18jährigen Schüler ins Gespräch kam und sagte, dass ich aus Deutschland sei, antwortete er: „Ach ja, Deutschland ist doch ein Teil von Russland.“

Vor einigen Wochen forderte ich den „Business director“ unserer Firma auf, ein kurzes Protokoll zu schreiben. As er es mir vorlegte waren in der ½ Schreibmaschinenseite ca. 30 Schreibfehler. Der Mann hatte seit Jahren sein erstes Protokoll zu Papier gebracht.

Als ich heute im Supermarkt war, kaufte vor mir ein Mann 2 Artikel à 1,95 $. Er beschwerte sich, als er statt 2×1,95 $ insgesamt 6,45 $ zahlen sollte. Das Mädchen an der Kasse brauchte ca. 15 Minuten, bis es ihr nach 4 oder 5 Versuchen gelang, die zwei Zahlen handschriftlich richtig zu addieren (Die Maschine war leider blockiert.).

Was ich an diesen vier Beispielen nur andeuten konnte, verursacht so manchem Europäer den sogenannten „Kulturschock“. Die Beispiele sind nicht an den Haren herbeigezogen, sie ließen sich beliebig erweitern. Allgemein darf man feststellen: Die allgemeine Schulbildung in den USA ist auf einem derart niedrigen Niveau angelangt, dass es einen erschauern lässt. Es ist deprimierend und erschütternd zu sehen auf welches geistige Niveau die USA abgesackt sind.

2 thoughts on “Walter K. Panknin – Wie ich die USA sehe – Teil I

  1. das ist wirklich war. Wir haben schon Filme über Amerikaner gesehen bei youtube, wo sie einfache Sachen gefragt wurden (wo liegt Deutschland etc.) und sie wußten leider gar nichts oder es war sehr lustig, was sie dachten. Ein Volk, das sich selbst als das tollste der Welt fühlt, hat ja auch keinen Grund, sich zu vervollkommnen, Peter. Der Niedergang des Geistes ist allgemein etwas, worüber man eigentlich nur noch weinen kann. Gruß Mitza

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