Eine ergreifende Liebesgeschichte – 4. Teil

Bitten um Verständnis

Am gleichen Tag erreichte die Familie ein Brief, in dem Elisabeth u.a. schrieb:

„Eberhard und ich haben an dem Tag, an dem Ihr diesen Brief bekommt, also am 4.6., geheiratet. Wir tun es deshalb so schnell, weil wir uns auf ein Kindchen freuen dürfen. Ich weiß nicht, ob es eine Entschuldigung dafür gibt, was ich Euch angetan habe! Das ist mein ganzer Kummer, denn ich habe Euch so lieb, dass es mir unsagbar weh tut, Euch so leiden zu sehen. Wenn Ihr könnt, verzeiht mir. Denkt bitte daran, dass auch Ihr, als Ihr liebtet, fest bei Eurem Entschluss bliebt. Über das, was geschehen ist, möchte ich nichts anderes sagen, als dass es aus Liebe geschehen ist. Ich habe lange darüber nachgedacht, konnte es aber nicht bereuen. Ihr wisst, dass ich es nicht ertragen würde, wenn Ihr nichts mehr von mir wissen wolltet. Ich brauche zu nötig Eure Liebe und Euer Verstehen.“

Glückliche Tage der Verliebten 1955 - Titel: Don Quichote auf Rosinante

Glückliche Tage der Verliebten 1955 – Titel: Don Quichote auf Rosinante

Auch Eberhard wendet sich an seine Schwiegermutter, unter anderem mit folgenden Zeilen: „Seit wir Gewissheit hatten, dass Elisabeth ein Kindchen haben würde, stand unser Entschluss fest, so schnell wie möglich zu heiraten. Sie werden das alles vielleicht nicht verstehen, Sie werden sehr böse auf mich sein und wer weiß was von mir denken, weil Sie mich zu wenig kennen. Ich verstehe das wohl. Die Zeit wird es beweisen, dass wir zueinander passen und glücklich sein werden.

Die kleine Edda mit Eltern 1955

Die kleine Edda mit Eltern 1955

In unseren Freudenbecher werden ein paar bittere Tropfen fallen. Wir wissen, dass Sie mit unserer Ehe nicht einverstanden sind. Aus diesem einfachen Grunde erhalten Sie so spät Nachricht von der bevorstehenden Trauung. Ich wünsche und hoffe nur das Eine: dass die Liebe des Mutterherzens in Ruhe und Besonnenheit die rechte Entscheidung fällt. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ein Mutterherz sich so verhärten kann. Wenn Sie mich auch nicht anerkennen, verschließen Sie Elisabeth nicht die Tür. Sollten Sie sich von uns abwenden, werden wir warten. Unsere Tür wird Ihnen stets geöffnet sein. Einmal werden Sie wieder gut sein, diesen Tag sehnen wir voller Hoffnung herbei.“

Diese eindringlichen Worte und Bitten um Vergebung haben scheinbar ihre Wirkung nicht ganz verfehlt. Schon bald findet im Haus von Elisabeths Mutter und ihrem Stiefvater Emanuel in Mellen ein kleines Fest statt, auf dem das jungvermählte Paar gefeiert und beglückwünscht wird. Gäste waren hier Eberhards Eltern, Minna und Albert, sowie Vera und Paul Rohra, ein befreundetes Ehepaar aus Mellen. Die Wogen haben sich zunächst geglättet und die Zukunft der beiden – und damit auch die unsrige – nimmt ihren Lauf.

 

Eine ergreifende Liebesgeschichte – 3. Teil

Hochzeit ohne Familie

Es blieb nicht aus, dass auch das Schulamt Wind von der Sache bekam. Es gab ziemlichen Ärger und Elisabeth wurde „strafversetzt“, sie kam noch 1953 nach Rühstädt. Doch auch diese Maßnahme brachte ebenso wenig Nutzen, wie die häufigen Besuche von Elisabeths Großmutter, unserem Omchen, in Rühstädt, die dem Zweck dienten, die beiden zu trennen. Eberhard fuhr abends oft mit dem Fahrrad nach Rühstädt, um seine Elisabeth heimlich zu treffen. Einmal wäre er dabei beinahe Omchen in die Arme gelaufen, die gerade wieder in verlorener Mission unterwegs war. In letzter Sekunde erkannte er die Gefahr und machte sich schleunigst wieder auf den Rückweg.

Schloss Rühstädt Photo Credit: wikipedia.org

Schloss Rühstädt – Photo Credit: wikipedia.org

Eberhard stand zu seiner Liebe und leitete seine Scheidung in die Wege, und als er auf diese Weise seine „Familienangelegenheiten“ in Ordnung gebracht hatte, wie es sich für einen Schulleiter gehörte, durfte Elisabeth wieder an die Schule in Quitzöbel zurückkehren.

Die Lehrerwohnung in Quitzöbel 2003

Die Lehrerwohnung in Quitzöbel 2003

Nun gab es zwar dienstlich keine Beanstandungen mehr, aber Mutter Johanna und Omchen waren noch lange nicht mit der Beziehung einverstanden. Wenn ich heute zurückblicke, waren sie das wohl nie aus vollem Herzen. Elisabeth verstand sich gut mit ihrem Bruder Hartmut und dessen Freundin Gisela. Die beiden Frauen trafen sich oft in Bad Wilsnack, wo die Weiterbildungen zur Vorbereitung auf die Lehrerprüfungen stattfanden. Oft gingen sie nach dem Unterricht noch eine Bockwurst essen und unterhielten sich. Bei einem dieser Treffen war auch Hartmut dabei. Den beiden fiel auf, dass Elisabeth sehr schlecht aussah, und sie führten das auf die große seelische Belastung durch die Auseinandersetzung mit Mutter und Großmutter zurück. Elisabeth konnte sich jedoch leider nicht entschließen, Gisela und Hartmut von dem wahren Problem zu erzählen, das in ihr heranwuchs – mein Schwesterchen hatte sich auf den Weg gemacht, das Licht der Welt zu erblicken. Ich glaube nicht, dass sie befürchtete, ihr Bruder könnte sie zu Hause verraten, vielmehr wollte sie ihn sicher nicht vor die Entscheidung stellen, sich entweder der Schwester oder aber der Mutter gegenüber loyal zu verhalten. Elisabeth und Eberhard glaubten keinen anderen Ausweg zu sehen, als alle vor vollendete Tatsachen zu stellen, und so kam es dazu, dass sie am vierten Juni 1954 allein und ohne die Familie zuvor davon in Kenntnis zu setzen, heirateten.

Elisabeth und Eberhard Trampenau am Tag ihrer Hochzeit

Elisabeth und Eberhard Trampenau am Tag ihrer Hochzeit

Eine ergreifende Liebesgeschichte – 2. Teil

„Zum Verlieben, nur nicht mehr zum Kriegen“

Schloss in Birkholz - Foto: gemeinde-karstaedt.de

Schloss in Birkholz – Foto: gemeinde-karstaedt.de

Nun gab es an dieser Schule in Quitzöbel einen Schulleiter, dessen Name Eberhard Trampenau war, und der zu diesem Zeitpunkt als 28-Jähriger schon ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich hatte. Er stammte aus Dallmin bei Karstädt, wo er zusammen mit drei Brüdern und zwei Schwestern auf einem Gutshof aufwuchs. Sein Vater war dort herrschaftlicher Kutscher, seine Mutter arbeitete auch auf dem Gut. Die Eltern hatten es nicht leicht, ihre sechs Kinder durchzubringen. Mutter Minna war gezwungen, bei der Arbeit auf dem Gut immer mal wieder ein paar Kartoffeln oder Rüben mitgehen zu lassen, um die vielen hungrigen Mäuler zu Hause zu stopfen. Vater Albert war überzeugter Atheist, was in jener Zeit, der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, ziemlich ungewöhnlich und dem Ruf der Familie im Dorf nicht gerade förderlich war. Es entsprach dem damaligen Zeitgeist, dass Pfarrer, Lehrer und Gutsbesitzer in einem Dorf bestimmten, was „rechtens“ war. Auch Eberhard hatte das als Jugendlicher zu spüren bekommen, denn als er konfirmiert werden wollte, war der Pfarrer der Meinung, dass er nicht die „richtigen“ Sachen anhabe und ließ ihn aus diesem Grund nicht zur Konfirmation zu. Es ist verständlich, dass Eberhards Einstellung zur Kirche zeit seines Lebens nicht nur ablehnend, sondern auch von Wut und Intoleranz gekennzeichnet war. Sein Werdegang als Jugendlicher und junger Mann war durch die Verhältnisse der dreißiger Jahre und der Kriegszeit vorprogrammiert: Hitlerjugend, Arbeitsdienst, Unteroffiziersschule, Kandidat der Offiziersschule. Mit 18 Jahren musste er in den Krieg ziehen, wurde dort bald verwundet und verlor zwei Finger. Gleich nach dem Krieg nahm er an einem „Neulehrerlehrgang“ teil (der kurioserweise wahrscheinlich im Gutshaus in Dallmin stattfand), das heißt, er wurde in relativ kurzer Zeit zum Lehrer ausgebildet, an denen damals großer Mangel herrschte. Sie waren entweder im Krieg gefallen oder aufgrund ihrer politischen Vergangenheit für diesen Beruf nicht mehr tragbar.

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Jedenfalls hatte es Eberhard in dem Jahr, als Elisabeth an seine Schule kam, bereits zum Schulleiter gebracht. Auch war er bereits verheiratet und hatte eine Tochter, wobei Gerüchte über lautstarke Auseinandersetzungen und durch die Luft fliegende (volle!) Windeln darauf hinwiesen, dass diese Ehe nicht gerade glücklich verlief.

Elisabeth 1955

Elisabeth 1955

Kaum hatte Elisabeth ihre Arbeit an der Schule in Quitzöbel begonnen, verliebte sie sich Hals über Kopf in ihren Schulleiter. In ihrem Tagebuch – das ich 20 Jahre später lesen durfte und das mich zu Tränen rührte, und das dann irgendwann unverzeihlicher Weise und zu meinem großen Bedauern nach einem heftigen Ehestreit in den Heizkessel flog – schwärmte sie immer wieder davon, wie nett und gutaussehend und klug er sei. An die Worte „Zum Verlieben, nur nicht mehr zum Kriegen“ kann ich mich noch genau erinnern. Wie das Leben so spielt, war auch Eberhard recht angetan von ihr, und es kam, wie es kommen musste: sie gaben ihren Gefühlen nach und beschworen damit für sich und natürlich auch für ihre Familien eine schwere Zeit herauf. Viele Kollegen verurteilten sie, Elisabeths Mutter und Großmutter versuchten hektisch, sie zu bekehren, Eberhards Frau war unglücklich, aber sie konnten nicht voneinander lassen. War es Unrecht? Ich bin da nicht ganz objektiv, denn wären die beiden „vernünftig“ geblieben, würde es mich und meine Geschwister nicht geben, und das fände ich ganz schön traurig. Also mag das jeder selbst beurteilen, und wer darüber den Stab bricht, hat entweder noch nie geliebt oder war bei Eintritt seiner eigenen großen Liebe in der glücklichen Lage, gerade frei und ungebunden zu sein.

 

A Touching Love Story in German

Die Wunderbare Liebesgeschichte meiner Großeltern

von Anke Schubert  ( Chart II a – II & IV)
Published in English on Jan. 30, 2015
Altstadt von Stettin (heute Szczecin) Photo Credit: Wikipedia.org

Altstadt von Stettin (heute Szczecin) Photo Credit: Wikipedia.org

Meine Großmutter Johanna besuchte von 1929 bis 1931 ein Lehrerseminar in Stettin. Sie stammte aus Hirschberg im Riesengebirge. Ihr Vater, der Oberschullehrer Ludwig Engel, hatte diese Lehranstalt ausgesucht, weil hier im Gegensatz zu anderen Hochschulen nur Studentinnen ausgebildet wurden. Nun trug es sich zu, dass bei einer Cousine von Johanna ein junger Zollbeamter namens Bruno Kegler zu Gast war. An der Wand der Wohnung hing ein Bild von Johanna, und Bruno fragte neugierig, wer das sei. Ihm wurde Bescheid gegeben, und er bat darum, der Cousine einen Gruß ausrichten zu dürfen. Das wurde ihm gestattet. Als Johanna ihre ersten Semesterferien zu Hause in Hirschberg verlebte, erhielt sie eines Tages eine Brief mit fremder Schrift und mit der ihr bis dahin fremden Anrede „Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!“. Lachend zeigte sie die Zeilen ihren Eltern und las ihnen vor, dass der Briefeschreiber um ein Treffen bat, um ihr die Grüße ihrer Cousine ausrichten zu dürfen. Vater Ludwig sagte sogleich: „Du schreibst, dass aus dem Treffen nichts wird, da du ja gerade in Hirschberg bist“. Johanna setzte sich sofort hin und schrieb auf einem winzigen Briefkärtchen die Absage. Der Brief wanderte in den Briefkasten – der Vater kontrollierte das vom Balkon aus – und Johanna verlebte zufrieden ihre Ferien.

Als sie wieder in Stettin war, schrieb Bruno wieder nach Hirschberg. Der Brief wurde geöffnet, aber Johanna immerhin nach Stettin nachgeschickt. Er enthielt die wiederholte Bitte, die Grüße ausrichten zu dürfen. Johanna zeigte das Schreiben ihren Klassenkameradinnen, die sie vor den energischen Schriftzügen warnten. Sie antwortete aber trotzdem und gab den Termin und den Ort – ein Café – an. Alle Klassenkameradinnen wollten mitkommen!

Bruno und Johanna - Eine Glückliche Zeit

Bruno und Johanna – Eine Glückliche Zeit

Als Kennzeichen hatte Bruno angegeben, dass er einen grauen Anzug mit einer weißen Nelke im Knopfloch tragen würde, Johanna wollte ein weißes Kleid und einen weißen Schal tragen.

Als sie sich an dem verabredeten Termin im Café einfand, sah sie … zwei Herren in grauen Anzügen, und keiner hatte eine weiße Nelke im Knopfloch! Aber einer stand auf, kam auf sie zu und stellte sich vor – und es war, als ob sie sich seit Jahren kennen würden.

Bruno und Johanna - Liebe auf den Ersten Blick

Bruno und Johanna – Liebe auf den Ersten Blick

Für Johanna begann nun eine wunderschöne Zeit. Sie sahen sich so oft sie konnten, unternahmen gemeinsame Wanderungen und Dampferfahrten.

Schon nach dem ersten Treffen sagte Bruno zu den beiden alten Damen, bei denen er als „möblierter Herr“ wohnte, er habe gerade seine zukünftige Ehefrau kennen gelernt. Ohne Johannas Wissen schrieb er an ihre Eltern, schilderte seine wirtschaftliche Lage und seine Familie und bat darum, einen Besuch machen zu dürfen. Das wurde ihm gestattet, man lernte sich kennen und am 29. April 1930 heirateten Johanna und Bruno. Sie waren sehr glücklich miteinander, und in den folgenden Jahren wurde dieses Glück durch die Geburt ihrer Kinder Hartmut, Elisabeth und Jürgen vervollkommnet.

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